Rede von Franziska Haug

Nicht erst seit dem 7. Oktober propagieren selbsternannte kommunistische Gruppen in Deutschland, dass die Intifada Klassenkampf und Vernichtungswünsche gegenüber Israel Antikapitalismus seien. Sie geben vor, für Frieden in Gaza zu sein und instrumentalisieren palästinensische Stimmen. Mit der Darstellung Israels als die monopolkapitalistische Machzentrale bedienen sie (z.b. der Kommunistische Aufbau) antisemitische Ressentiments der reichen, raffenden Juden. Sie zelebrieren den Widerspruch eines antisemitischen Pazifismus, wenn sie im Namen des Friedens Israel zur Waffenniederlegung und im gleichen Atemzug Palästinenser*innen zum militanten Kampf gegen Juden aufrufen. Ich komme nicht umhin anzunehmen, dass es hierbei weder um Antikapitalismus, noch um Klassenkampf geht; schon gar nicht um Frieden für alle Menschen in Gaza. Worum es vielen dieser selbsternannten Kommunist*innen geht, ist der eigenen Bedeutungslosigkeit und dem Ausbleiben der jahrelang im Uniseminar herbeiphantasierten Revolution etwas rhetorisch radikales entgegenzusetzen: Statt die tatsächlichen kapitalistischen Profiteure wie etwa milliardenschwere Naziunternehmen, ihre reich geerbten Nazienkel und kapitalistische Staatsapparate als Feinde des guten Lebens für alle zu benennen, ist es wieder mal der Jude, der an allem Schuld ist.

Liebe Genoss*innen, ich will dazu aufrufen, dass wir uns einen scharfen Begriff des Antikapitalismus und eine radikale Praxis des Klassenkampfes nicht von denjenigen nehmen lassen, die ihn nur als Platzhalter für Antisemitismus und eigene Schuldabwehr benutzen. 

Lasst uns wieder klarmachen, dass Klassenkampf der Kampf um die Aneignung der Produktionsmittel bedeutet; dass es ein Kampf von Arbeiter*innen gegen Kapitalist*innen ist, von Arm gegen Reich, von Ausgebeuteten gegen Profiteure und Privilegierte ist. Lasst uns aufs Schärfste zurückweisen, wenn pseudolinke Mittelschichts kids im Namen der Palästinenser*innen Klassenkampf als Völkerkampf zwischen Israel und Palästina verklären. Diese Leute haben weder von Klassen und Kapitalismus, noch von Imperialismus auch nur irgendeine eine Ahnung. 

Gruppen wie „Palästina spricht” oder „Rote Blüte Palästina“ beschreiben „Intifada“ als „Klassenkampf“, benutzen Slogans wie „Gegen Kapital und Krieg, Intifada bis zum Sieg“ und sprechen vom „zionistischem Kapitalismus“. Zusammen mit Young Struggle haben sie auch dieses Jahr am 9. November wieder Stolpersteine geputzt und „nie wieder“ gerufen. Gleichzeitig sprechen die wenigen Shoah Überlebenden nach dem 7. Oktober davon, dass „Nie wieder“ jetzt ist. Wer von jüdischem Leben nicht reden und antisemitischen Terror nicht sehen will, sollte auch beim Gedenken an tote Juden*Jüdinnen schweigen. Diese pseudo antifaschistische Praxis ist blanker Hohn und Zynismus. Eike Geisel hat diese zutiefst deutscher Erinnerungspolitik mit den Worten „Erinnern als höchste Form des Vergessens“ treffend beschrieben. Für den kommunistischen Juden Thomas Brasch war „der Faschismus so lange her wie eine Sekunde in seinem Leben.“ Die „Gegenwart“ ist, so sagte er, „nichts anderes als das Resultat der Vergangenheit.“ Wenn Young Struggle also vorgeben den Opfern des Faschismus zu gedenken und gleichzeitig schweigen, wenn der IS Schwule an Baukränen aufhängt, die Hamas Frauen vergewaltigt, Babys köpft, Jüdinnen*Juden tötet und Palästinenser*innen als lebende Schutzschilde missbraucht, dann erweisen sie sich nicht als antifaschistische Kommunist*innen, sondern stehen in deutscher Tradition.

Kommunistische Gruppen in Deutschland verwenden seit dem 7.10.2023 einmal mehr klassenkämpferisches Vokabular in Bezug auf den Nahost-Konflikt. Während Jüdinnen*Juden getötet werden, noch immer ihre Angehörigen vermissen und überall auf der Welt einem erstarkenden Antisemitismus ausgesetzte sind, stellen Palästinenser*innen in Gaza für viele Linke das revolutionäre Subjekt schlecht hin dar. Ob Palästinenser*innen sich selbst so verstehen oder das überhaupt sein wollen, scheint hierzulande die wenigsten Linken zu interessieren. In inhaltsleeren Phrasen von Klassenkampf wird der Nahost-Konflikt wieder einmal zum größten Fetisch der westdeutschen Linken. Über den scheinen sie gerade zu vergessen, dass im Krieg in Gaza ihre revolutionären Subjekte vor islamistischem Terror fliehen müssen oder verdursten, weil die Hamas aus Wasserleitungen Waffen baut und Fluchtrouten verhindert. Dass im kriegerischen Terror nicht nur die vermeintlichen Feinde sterben, sollte eigentlich jedem selbsternannten linken Militärstrategen klar sein. In dieser Situation jedoch zu behaupten, der jüdische Staat sei die eine imperialistische Machtzentrale des Kapitals, zeugt nicht nur von grassierendem Antisemitismus, sondern auch von völliger Unkenntnis ökonomischer Verhältnisse. 

Was meinen diese Gruppen, wenn sie von Imperialismus reden? Was verstehen sie unter Kapital und Klassenkampf? Young Struggle spricht von einer klassenkämpferischen „Al-Aqsa Flut“ und einem „zionistischem Imperialismus“. Auch die Gruppe Klasse gegen Klasse, Teil der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale, reiht sich ein: „Wir verteidigen das legitime Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstverteidigung und Widerstand gegen den genozidalen Staat Israel und verurteilen die Heuchelei des Imperialismus gegenüber dem palästinensischen Volk, das er des Terrorismus beschuldigt, während er die israelische Besatzung unterstützt.“ Auch der Kommunistische Aufbau ruft zwei Tage nach Beginn des Massakers der Hamas, am 9. Oktober 2023, gegen den Imperialismus auf: „Der Kampf gegen die israelische Besatzung ist legitim! Friede zwischen den Völkern, Krieg den Imperialisten! Freiheit für Palästina!“ Die Imperialisten, das sind in ihren Augen die israelischen Juden*Jüdinnen. Der Ruf nach Völkerfrieden ist eine Plattitüde, wenn man gleichzeitig gegen israelische Juden zum Krieg aufruft.         

Während vermutlich die meisten unter uns hier eine vernünftige Kritik an rechten Siedlern oder konservativen und rechten Politikern in Israel befürworten würden, bleibt es unverständlich, warum ein Land, dass so groß (oder klein) wie Hessen ist, zu dem Monopolkapitalisten der Welt erklärt wird. Einmal mehr bedienen sich genannte Gruppen damit einer der ältesten antisemitischen Muster: der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung, bei der das Kapital der Welt von einer kleinen Gruppe zusammengerafft wird, während der ehrliche deutsche Arbeiter für sein Häuschen schaffen geht. 

Warum fragen sich die Genossen eigentlich zu keinem Moment, wer die Waffen der Hamas finanziert? Wer die Ausbildungen an der Waffe, die Infrastruktur, den Bau von Tunneln finanziert? Warum fragt sich keiner der Antiimperialisten, wer vom Krieg zwischen Israel und Palästina ökonomisch profitiert?         

Die Hamas kontrolliert über 40 Unternehmen in Algerien, der Türkei, Saudi-Arabien, im Sudan sowie in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die türkische Regierung hat der Hamas 2011 300 Mio. Dollar zugesagt, Katar kurz darauf 400 Mio. Dollar. Das Emirat Katar hat der Hamas mittlerweile über 1,5 Milliarden Euro überwiesen, monatlich sollen es um die 30 Millionen Euro sein. Einer der größten Finanzierer des islamistischen Terrors der Hamas ist Iran. Seit den 1990er Jahren zahlt das iranische Regime über 200 Mio. Dollar an die Hamas, finanziert damit u.a. in Ausbildung und Waffen. Warum schweigen Free Palestine Frankfurt, Young Struggle, Zora, der Kommunistische Aufbau und viele weitere über diese imperialistischen Mächte, die Terror gegen Juden finanzieren? Warum schweigen sie gegenüber einem reaktionären iranischen Regime, vor dem abertausende Iranier*innen ins Exil fliehen mussten? 

Vielen den genannten Gruppen ist es daran gelegen, „antizionistischen Klassenkampf“ von Antisemitismus zu trennen. Wer aber „From the river to the sea“ ruft und wie Free Palestine Frankfurt gegen eine Zweistaatenlösung im Nahen Osten ist, der will nicht nur den Zionismus vernichten. Es geht ihnen um die Bevölkerung Israels. Spätestens hier sollte klar sein, dass Antizionismus vom Antisemitismus schwer zu trennen ist.         Der linke Jude und Shoah-Überlebende Jean Améry hat schon in den sechziger Jahren gesagt, der Antisemitismus sei dem Antizionismus inhärent „wie das Gewitter in der Wolke“. Die Linke rede, so Améry, „mit allzu geschwindem Munde vom Faschismus“, ohne einzusehen, dass sie „über die Realität nur Raster schlecht durchdachter Ideologie legen.“ Und nein, das heißt nicht, dass man die israelische Regierung oder Politik nicht kritisieren dürfte – wer sich wirklich für jüdisches Leben und jüdische Perspektiven interessiert, dem sollte nicht entgangen sein, dass die israelische Bevölkerung seit Monaten gegen die Regierung auf die Straße gegangen ist. Die westdeutsche Linke muss endlich ihren Nah-Ost-Fetisch ablegen, die eigenen Schuldkomplexe bearbeiten und anfangen, Jüdinnen*Juden zuzuhören.

Die sogenannten Kommunist*innen geben vor, im Namen der Arbeiter*innenklasse zu sprechen. Allein angesichts der milliardenschweren, wenig proletarischen, islamistischen Verbündeten der Hamas, ist dies mehr als bizarr. Statt eine vernünftige Klassenanalyse zu betreiben, spielen sie Muslime gegen Juden, Palästinenser gegen Israelis, Rassismus gegen Antisemitismus aus. Für Lenin, auf den sich die selbsternannten roten Gruppen allzu gern berufen, hat diese kümmerliche antisemitische Kritik des Imperialismus eine bestimmte Funktion: „Feindschaft gegen die Juden [zu schüren], um […] von dem wirklichen Feind der Werktätigen – vom Kapital – abzulenken.“ 

Anlässlich eines vom „raffenden Reichen und Mächtigen“, „auf der Jagd nach neuen Einflussgebieten und Absatzmärkten“ und „Bomben auf Palästina“ sprechenden Demoaufrufs des 1. Mai Bündnisses Frankfurt/Main 2022, hat die Linke Liste im Anschluss daran folgendes festgehalten: „Eines der wirksamsten Mittel des Imperialismus ist es, Herrschaftsmechanismen des Kapitalismus in antisemitische Klischees zu übersetzen und so die Arbeiter*innenklasse zu spalten. Wer Zweifel am Existenzrecht Israels für eine Form des Antiimperialismus hält, hat vom Imperialismus so wenig verstanden wie von der Geschichte revolutionärer Bewegungen.“ 

Jede Imperialismuskritik, die antisemitisch gegen Israel und Juden*Jüdinnen funktionalisiert werden kann, wird weder den Imperialismus noch den Kapitalismus abschaffen. Die deutschen Antiimperialisten kennen scheinbar nicht einmal ihre eigenen Vorbilder. Denn schon Lenin sagte: 

„Nicht die Juden sind die Feinde der Werktätigen. Die Feinde der Arbeiter sind die Kapitalisten aller Länder. Unter den Juden gibts es Arbeiter, Werktätige: sie bilden die Mehrheit. Was die Unterdrückung durch das Kapital anbelangt, sind sie unsere Brüder, im Kampf für den Sozialismus unsere Genossen. Unter den Juden gibt es Großbauern, Ausbeuter, Kapitalisten; wie es sie unter den Russen, wie es sie unter allen Nationen gibt. Die Kapitalisten sind bemüht, zwischen den Arbeitern verschiedenen Glaubens, verschiedener Nation […] Feindschaft zu säen und zu schüren.“ 

Young Struggle & Co tun also in diesen Tagen den Kapitalisten wunderbare Dienste, in dem sie Feindschaft zwischen Linken säen und die Hamas-finanzierenden Kapitalisten mit Kritik verschonen. Ein wahrer Klassenkampf hingegen, würde bei der Bemühung um eine praktische internationale Solidarität aller Arbeiter*innen beginnen. Indem diese Gruppen so tun, als wären alle Juden reiche Imperialisten, „white settler“ oder Kolonialisten, bedienen sie sich abermals antisemitischer Klischees. Diese haben, wie bei jedem „Gerücht über die Juden“ absolut nichts mit der Realität zu tun: Über 20% der Bevölkerung Israels sind arabisch, unten den 75% Jüdinnen*Juden sind People of Color, arabische Juden, Schwarze, osteuropäische Menschen uvm. Der Großteil der in Deutschland lebenden Jüdinnen*Juden kommt aus der ehemaligen Sowjetunion. Mehr als 93% dieser jüdischen Zugewanderten sind heute auf Grundsicherung im Alter angewiesen, das heißt, dass bis zu 70.000 jüdischer Rentner*innen unterhalb der Armutsgrenze leben. Zum Vergleich: das betrifft nur ca. 3% deutscher Rentner*innen. Wie Kapitalismus Armut erzeugt und eng verzahnt mit Rassismus und Antisemitismus ist, ließe sich hier bestens belegen. Ich frage mich, warum ist so was nicht Gegenstad der Kapitalismuskritik von deutschen „Kommunist*innen“?

Eine linke Klassenpolitik müsste genau an solchen Stellen ansetzen. Sie müsste hier Kämpfe verbinden; gleichzeitig auf den strukturellen Rassizismus und Antisemitismus des deutschen Arbeitsmarktes gegenüber Migrant*innen aufmerksam machen. Denn der Feind steht im eigenen Land. Das sagte Karl Liebknecht, der neben Lenin ein weiteres Vorbild der antiimperialistischen Linken ist. Auch ihn scheinen die wenigsten verstanden zu haben. Sonst wäre Deutschland, das eigene Land, der Gegenstand antiimperialistischer Kritik, nicht immer wieder und ausschließlich Israel.

Wie reaktionär ist es vor diesem Hintergrund, dass nicht deutsche Staatsapparate, deutsches Kapital usw. in die Kritik genommen werden, sondern stattdessen Davidsterne an Türen von Juden*Jüdinnen gemalt werden? Auch dies entspricht einer deutschen Tradition: dem pseudo Antikapitalismus der Nazis, die erst die Arbeiterbewegung niederschlugen, um dann die Bevölkerung mit dem Plündern jüdischer Geschäfte ruhigzustellen… Und auch heute sehen wir, dass die Bevölkerung in Gaza ruhiggestellt wird – wie zynisch kann man sein, wenn man ihnen das noch als Befreiungskampf verkauft? Nein, das ist nicht der Kommunismus. 

Auch schon für Marx war klar, dass „Staaten […], welche die Juden noch nicht politisch emanzipieren können, […] als unentwickelte Staaten nachzuweisen [sind].“ Zur Frage, wie man als Kommunistin zu Deutschland steht, sollte damit alles gesagt sein. 

Jede*r Linke, der in diesem Tagen bei Verstand ist, muss in diesem Sinne gegen die Tradition des deutschen Vernichtungsantisemitismus vorgehen: egal ob im Lesekreis, der WG, auf der Demo, in der Uni, der Familie oder oder. Es gilt heute mehr denn je, den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus im eigenen Land scharf zu benennen, statt wahnhafte Ausflüchte in den Nahen Osten oder die Schuld an der deutsch-kapitalistischen Misere immer bei den anderen zu suchen. Antisemitismus ist am wenigsten ein Importphänomen, sondern deutsche Räson. In diesem Sinne gilt Horkheimers Diktum auch in die andere Richtung: „Wer aber vom [Faschismus] nicht reden will, sollte auch vom [Kapitalismus] schweigen“.

Klassenkampf heißt nicht Intifada, sondern internationale Solidarität mit den Unterdrückten und Ausgebeuteten aller Länder. Wenn Juden*Jüdinnen davon ausgenommen werden, ist das kein Kommunismus oder Klassenkampf, sondern schlichtweg Antisemitismus.