Rede von C.

Ich stehe hier heute Abend nicht als Studentin – ich habe vor zwei Monaten mein Studium beendet – aber innerlich habe ich schon vor mehreren Jahren mit der Uni abgeschlossen. Ich stehe hier auch nicht als angehende Wissenschaftlerin, was lange Zeit mein Traum war, denn diese Räume haben sich mir verschlossen. Ich stehe heute Abend auch hier nicht als Teil der Linken Szene. Denn in Szenen bin ich noch nie aufgegangen. Ich stehe hier als Mitglied der jüdischen Gemeinschaft hier in Deutschland. Ich stehe hier für meine Großeltern, die alle Überlebende der Shoah sind und denen, wenn schon nicht die Mehrheitsgesellschaft, so zumindest ich, versprechen möchte, alles dafür zu tun, dass „nie wieder“ jetzt ist. Dass wenn andere schweigen, ich lauter bin als je zuvor. Denn was anderes bleibt mir auch nicht übrig. 

Es ist ein schreckliches Gefühl erleichtert darüber zu sein, dass die eigenen Großeltern unsere heutige Zeit nicht miterleben müssen. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es ihnen ergangen wäre. Wie es vor allem meiner Großmutter ergangen wäre, die im Ghetto Riga vor den Augen ihrer Tochter von Nazis vergewaltigt worden ist und von dieser dann getröstet wurde. Ihre Tochter, meine Tante, wurde eines Tages aus dem Ghetto entführt und kam nie wieder. Ich frage mich: Wie hätte meine Großmutter auf die Massenvergewaltigungen und Ermordungen von Frauen und Mädchen reagiert? Auf die Entführungen von Überlebenden, Kindern, Kranken, Beduinen, thailändischen Gastarbeitern (nur um einige zu nennen). Meine Großmutter sagte nach der Shoah: „Ich mag Tiere, Pflanzen und Steine – nur beim Menschen muss man vorsichtig sein“. Was hätte sie heute gesagt anlässlich des Schweigens und der Umdrehung der Taten. Versuchten die Nationalsozialisten ihre Taten noch zu verbergen, findet der Zivilisationsbruch der Hamas darin statt, dass sie ihre Taten veröffentlichen: Sie zelebrieren das Morden auf den Straßen, sie kontaktieren die Familien ihrer Opfer und lassen diese live das Leiden miterleben. Und dennoch können sich Hamas Funktionäre wenig später vor TV-Übertragungen setzen und ankündigen, es sei nie etwas passiert, es gäbe ja keine Beweise, keine Bilder. Und eine große Mehrheit glaubt ihnen dies auch noch. Wenn es in unserer poststrukturalistischen Welt keine Wahrheit mehr gibt, so können nur Lügen gewinnen. 

Wenn jüdische Opfer keine Zeit zum trauern haben, für ihre Familie, ihre Freunde – denn jede:r kennt jemand, der oder die zum Opfer gefallen ist oder überlebt hat, sondern gleich in den Überlebensmodus übergehen müssen, dann findet dies meist vereinzelt statt – zurückgezogen in die eigene Community. Bis auf eine Demo am Campus,  die auf massive Gegenproteste stieß,gab es in Frankfurt nach 47 Tagen noch keine Demo aus linken Kreisen, die sich solidarisch Israel und dem jüdischen Volk an die Seite gestellt hat. 

Im Gespräch mit weiteren Nachkommen der Shoah in 3. Generation wurde vor allem eins eindeutig: das Gefühl auf sich alleine gestellt zu sein. Nichtjüdische Menschen – Kolleg:innen, Freund:innen, Bekanntschaften waren in der Zeit nach dem 7. Oktober nicht mal in der Lage zu fragen, wie es einem als jüdischer Person hier in Deutschland geht, wie es der Familie in Israel geht. Lebt es sich sicher auf deutschen Straßen als jüdische Person? Wobei diese Frage eher rhetorisch ist. An den Häusern von zwei Bekannten von mir – in Berlin und in Frankfurt wurden an die Häuserwände Davidsterne und Hakenkreuze gezeichnet. Unter einem Post bei ffm aktuell wo es um die Beschädigung der Israelflagge am Römer ging, standen fast ausschließlich antisemitische Kommentare. Darunter Zitat: „5 Lachsmileys, die armen jahudis; Antwort eines anderen: was für arm die haben das schlimmste auf dieser Erde verdient. Genauso wie unsere blasehasen Politiker ; darauf die Antwort des ersten: ironie my brada. Dieses Land diese Flagge ist voller Blut von Kindern. Ekelhaft einfach“

Wo Lügen ungestraft und unkommentiert durchgehen können, findet die alte Ritualmordlegende ihren Platz. Jüd:innen sind Kindermörder und Israel bombardiert ein Krankenhaus. Als im Rahmen der Krankenhauslüge ich eine Bekannte aus Schulzeiten auf ihre übelste Hamas Propaganda aufmerksam machte, warf sie mir vor Rache und Gewalt an ihr auszuüben für das was in Israel passiert. Als Jüdin habe ich wohl nett und ruhig und nicht wehrhaft zu sein. Sonst übe ich Rache und Gewalt aus und bin Täterin. So wie Israel jetzt alleinig als Täter ausfindig gemacht wird und nicht die Hamas, die ihre eigene Bevölkerung als Schutzschild benutzt und zu ihrem Opfer macht. Eine andere bezeichnete Gaza als Konzentrationslager auf Social Media – so viel zu Täter-Opfer-Umkehr. Natürlich kam von beiden keine Aussage zum 07. Oktober. Jüdinnen und Juden werden des weiteren allzu gerne als Token verwendet, um die eigene Täter-Opfer-Umkehr zu rechtfertigen. Und dann gibt es auch unter Linken, diejenigen, die sich unglaublich viel mit Juden beschäftigen, allerdings nur wenn diese tot sind. Opfer der Shoah quasi. Befreite Jüdinnen und Juden. So ist es doch auch bezeichnend, dass in Israel der Holocaust-Gedenktag am Tag des Aufstand des Warschauer Ghettos stattfindet, und hier der Shoah am 27.01. und 09.11. gedacht wird. Aber wer an diesen Tagen nur den Opfern der Shoah gedenkt, es aber am 09.11 es nicht geschafft hat, das schlimmste Massaker an Jüdinnen und Juden seit der Shoah zu verurteilen, der darf sich als Mitläufer:in in unserer Gegenwart sehen. Denn plötzlich wird einem als jüdische Person klar, wie Mitmenschen nicht in der Lage sind, sich zu positionieren, sich zu äußern wenn Unrecht an Jüdinnen und Juden passiert, weil sie Angst haben ihren Job zu verlieren, ihren sozialen Status und so weiter und so fort. Und nein, hier geht es nicht um die israelische Regierung. Hier geht es um einfache drei Worte: Wie geht’s dir? Ein wie geht’s dir, was zumeist nicht zustande kommt, weil wir Jüdinnen und 

Juden zu Repräsentant:innen verklärt werden, da ist zuerst der theoretische Überbau, der alles vernebelt und uns letztendlich die menschliche Erfahrung wegnimmt, die am Ende vor allem Trauer, Schock und Angst um die Zukunft ist. Wenn wir keine menschliche Erfahrung mehr haben dürfen, was dann? Ja allgemein überwiegen gerade die Fragen: Wieso provozieren Bilder von Geiseln Menschen so sehr, dass sie Gewalt an Postern ausüben (Gewalt die sie gerne an Israelis ausüben würden?), wieso ist es mutig eine Israelflagge zu tragen, bei dieser Kundgebung zu reden und sich als jüdisch erkennbar zu geben? Und wieso hat man als jüdische Person immer das Gefühl vereinzelt dazustehen, wenn (leider) wieder etwas passiert und reichen die Ereignisse vom 07.10 nicht aus, um sich endlich hinter seine jüdischen Mitmenschen zu stellen?